UnterholzUnterholz’ Kosmetik-Kommentare

Unterholz vor 9 Jahren 21

Acetum pestilentiale
Auch nach über sechshundert getesteten Düften und reichlich ernüchternden Erlebnissen, gibt es immer wieder Parfüms, die es speziell lohnen, ein paar Worte darüber zu verlieren. Das hier ist so ein Kandidat.

Das Duftkonzept von „Vinaigre de Toilette“ ist beinahe älter als die Schöpfung und wird nicht erst heute als ubiquitäres Mittelchen geschätzt. Ich besitze bereits Diptyques „Vinaigre de Toilette“, welcher beinahe täglich Anwendung findet: ein paar Spritzer zum Aftershave, für nach der Rasur: angenehm und erfrischend, für ein bübchen-softes Hautgefühl. Damen geben ein paar Tropfen ins Wasser, um damit nach dem Haarewaschen nachzuspülen – für eine seidenweiche Matte, ich schwöre! Essig ist ja sowieso ein Tausendsassa und gut für und gegen alles. Ich erinnere mich an die Essigsocken, die mir meine Mutter machte, wenn ich Fieber hatte. Natürlich mag ich Essig in allen Formen: als Aperitif, zum Mozzarella, als gemeines Dressing für Salate, gar auf dem Dessertteller und sogar zum Putzen.

Vor einiger Zeit habe ich mir bei Oriza L. Legrand die Gesamtübersicht (16 Stück) in der hübschen kleinen Schachtel bestellt. Von allen Düften konnte mich – bis auf den hier – keiner überzeugen. Was allerdings nichts heissen soll. Qualität und Machart ist sicher hochwertig, wenn auch für mich nicht unbedingt für den ‚modernen‘ Parfümgebrauch bestimmt, sondern eher zur Dokumentation 'alter Schule'. Die Düfte besitzen unbestreitbar Eigenständigkeit, aber auch reichlich Patina, was auf vermutlich recht detailgetreue Umsetzungen antiker Rezepturen hindeutet. Nicht nur Retro also, sondern Nostalgie pur. Schön, dass es in der wunderbaren Welt der Düfte auch für sowas Platz hat.

„Vinaigre de Toilette – Oriza Aciduliné“ war einer der letzten Düfte, die ich von OLLG testete und er überzeugte mich ohne Wenn und Aber: Aufsprühen und tout de suite strömt einem eine belebende Essignote in die Nase. Was bitte ist denn hier eventuell schiefgelaufen? Inhalt aus 1852 versehentlich stehen gelassen? Nö, das muss natürlich so. Bald verfliegt die zitrus-, kraut- und kräuterveredelte Säure und es gucken sogar ein paar Blumen und Hölzer um die Ecke. Belebend, erfrischend, unkompliziert.

Zu Zeiten der Pestepidemie soll genau so ein Kräuterauszug auf Essigbasis vor Ansteckung der tödlichen Seuche bewahrt haben, was natürlich Quatsch ist. Damals war man allerdings der Meinung, die Pestkeime würden durch verunreinigte Luft (und nicht durch Ratten/Flöhe oder Tröpfchen) übertragen. Klar, dass da Essig, als einer der mächtigsten olfaktorischen Sinnesreizungen, erfolgreich gegen den Pest-Bösewicht anpöbeln sollte. Diese historische Medizin war ein sogenannter „Vierräuberessig“, der einer Legende nach die Plünderer, welche die Pesterkrankten (und Toten) beraubten, vor Ansteckung geschützt haben sollte (wie heisst es so schön: Gott schützt die Tüchtigen…). Das Rezept für genanntes Gebräu liest sich etwa wie oben. Und hilft nebenbei sicher auch, diverse Hausschädlinge oder Vampire im Dachstock loszuwerden…

Es gibt bestimmt einige, die rümpfen bei obigen Angaben die Nase. Knoblauch in einem Duft? Geht eigentlich gar nicht. Dennoch finde ich Vinaigre de Toilette einfach nur genial, tonisierend, belebend, wunderbar anders ohne anstrengend zu sein wie so manch modern-synthetisches Duftkonstrukt, das laut „Ich bin Kunst“ schreit. Diptyques Vinaigre ist etwas holziger, trockener, ganz ohne Zitrusaspekte. Orizas gefällt mir allerdings eine Spur besser, versteckt sich doch unter dem charmanten Essignasenstüber ein schönes würzigflorales Cologne, das noch einige Stunden nach dem Aufsprühen Freude macht.
Den werde ich mir zulegen, sobald ich meine Diptyque-Buddel geschafft habe.
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